Kreativität lernen – Teil 3 “Team-Sache – Kreativität basiert auf flexibler Kommunikation.”

Kreativität Teil 3: Die plastische soziale Matrix

Im vorhergehenden Blog-Post haben wir gesehen, dass kreative Ideen und deren Umsetzungen plastische Hirne voraussetzen. Deren Plastizität und Operationsweisen sind eng verbunden mit Interaktionen in den Beziehungs-Netzwerken, in denen wir uns aufhalten und in denen wir nach kreativen Lösungen suchen.

Wenn wir in der Folge ein Verfahren für die kreative Entwicklung von Problem­lösungen entwickeln, bekommen wir es vor diesem Hintergrund mit zwei grundlegenden Herausforde­rungen zu tun:

Zum einen haben wir eine Technologie bereitzustellen, mit Hilfe derer wir die Gehirne begabter Menschen anregen können, gezielt neue neuronale Sys­teme zu entwickeln, welche die Basis neuer Denkweisen und Herangehens­weisen bilden.

Zum anderen haben wir bei dieser Technologie-Entwicklung für diese neu­ronale System-Neubildung förderliche soziale Voraussetzung bereitzustellen. Mit anderen Worten haben wir eine Gruppenkonstellation herzustellen, die für kreative Hirnträger möglichst günstige Bedingungen schafft. In diesem Gruppen-Setting sollen nicht nur neue neuronale Verknüpfungen ange­regt werden. Darüber hinaus sind die in diesen neuen neuronalen Systemen steckenden Denkmöglichkeiten und Problemlösungs-Ansätze systematisch herauszuarbeiten, zu bewerten und in kreative Maßnahmen und kreative Pro­dukte umzuwandeln.

 

Gruppen unter­binden regelmäßig Kreativität.

Diese beiden Herausforderungen nehmen wir nun in Angriff.

Zum weiteren Vorgehen: In diesem Blog-Post wenden wir uns vor allem der zweiten Herausforderung zu.

Starten wir mit der Herstellung einer plastischen sozialen Matrix:

Ungünstige Gruppenkonstellationen sind das Haupthindernis für kreative Anstrengun­gen. Das gilt insbesondere für Aufgabenstellungen im Feld der Kommu­nikation. Ob im Journalismus, der Werbung, der Public Relations oder des Content-Marketings – die Arbeit an Problemlösungen geschieht stets in Teams.

In der Regel sind so­gar mehrere Gruppen und Untergruppen beteiligt, die nicht selten statt zu­sammen gegeneinander arbeiten. An einer Kommunikations-Aufgabenstellung können beispielsweise parallel Teams in einer PR-Agentur arbeiten – eine Beratungs­gruppe, eine Content Marketing-Redaktion usw. -; ein von der Agentur beauftragtes Team von Grafikern und Web-Designern ist in der Regel genauso beteiligt wie ein Team in der Marketing-Abteilung auf Seiten des beauftragenden Klienten. Es er­scheint bereits als Herausforderung, angesichts solcher Settings, die gekenn­zeichnet sind durch das „Aufeinanderprallen“ unterschiedlichster Gruppen und Personen mit heterogenen Berufserfahrungen und Qualifikationen, Rou­tineaufgaben termingerecht zu organisieren. Ausgesprochen schwierig ist es, die beteiligten Personen erfolgreich in einen kreativen Prozess einzubinden.

 

Psychologische Erklärungen des Uniformi­täts-Zwangs

Gehen wir diese Herausforderung der sozialen Matrix an und stellen uns die Frage, warum Gruppen und Teams kreative Leistungen regelmäßig „inhibieren“, also unterbinden.

Sozialpsychologische Untersuchungen bestätigen, dass Gruppen, die vor die Aufgabe gestellt werden, Probleme zu lösen, häufig ein zwanghaftes Klammern an etablierte Lösungsmuster ausprägen. Forscher haben verschie­dene Anläufe genommen, die sich dabei ausbildende Dominanz konservati­ver Ideen zu erklären.(1)

Ein Ansatz zur Deutung dieses Uniformitäts-Zwangs besteht im Hinweis auf die Angst der beteiligten Individuen davor, sich mit einer neuen Idee zu sehr „aus dem Fenster zu hängen“ und dadurch Kritik der Gruppe Angriffs­fläche zu bieten. Sie fürchten sich davor, schlecht bewertet zu werden und dadurch Status zu verlieren. Kurz gesagt: Sie empfinden Bewertungsangst („evaluation apprehension“).

Eine zweite Erklärung bringt den Gruppen-Konservatismus mit der Tat­sache in Verbindung, dass Individuen sich in Gruppen weniger als bei Ein­zelarbeiten engagieren und deshalb in Gruppen-Settings zu wenig Energie aufbringen, um zu einer gemeinsamen neuen Lösung beizutragen.

Anhänger dieser Erklärung sehen hinter dieser „Kreativitäts- und Produk­tivitäts-Inhibition“ vor allem das Phänomen des „sozialen Faulenzens“ („soci­al loafing“). Sie schreiben Individuen das Bedürfnis zu, für ihre in der Gruppe präsentierte Leistung möglichst sicher angemessene Anerkennung zu finden. Deshalb gehen Anhänger dieser Hypothese davon aus, dass ein Individuum grundsätzlich davor zurückschreckt, sich für neue Ideen zu engagieren, weil es dabei riskiert, für seine individuellen Anstrengungen keine Wertschätzung durch andere Gruppenmitglieder zu erreichen. Denn bis eine „zündende“ und tatsächlich tragfähige neue Idee gefunden wird, muss Energie für viele Fehlversuche und „Schüsse ins Blaue“ investiert werden. Also halten sich Individuen in der Gruppe mit kreativen Vorschlägen meist zurück.

 

 

Individuen ver­gleichen ihre Anstrengun­gen.

Sozialpsychologen gehen davon aus, dass dieses Phänomen des „sozialen Faulenzens“ beständig auftritt und dabei mit weiteren dysfunktionalen, leis­tungshemmenden Gruppeneffekten verknüpft ist. Sie nehmen beispielswei­se an, dass Individuen dazu neigen, ihre eigene Initiative in der Gruppe mit der Performance der übrigen Gruppenmitglieder zu vergleichen. Dieser indi­viduelle „Anstrengungsabgleich“ („matching of effort“) führt ebenfalls dazu, dass die Beteiligten sich wenig für neue Lösungen engagieren. Denn beim Arbeiten an Innovationen pflegen schnell Situationen aufzutreten, in denen Einzelne das Gefühl haben, dass jemand in der Gruppe in seiner Initiative und seinem Engagement nachlässt und nicht mehr angemessen mittut. Als Rück­kopplungs-Effekt lässt daraufhin schnell die Leistung der gesamten Gruppe nach.

Forscher begründen das damit, dass die einzelnen Mitglieder vermeiden wollen, von den anderen ausgenutzt zu werden. Sie wollen nicht als die „Blö­den“ („sucker“) dastehen, die „treu und brav“ weiterarbeiten, während andere sich als „Trittbrettfahrer“ („free riders“) betätigen, die Arbeit der Gruppe über­lassen und insgeheim darauf spekulieren, ohne eigene Mühen vom Gruppen­erfolg zu profitieren.(2)

Solche und ähnliche Phänomene, die kreativer Gruppenarbeit entgegen­stehen, sind bekannt, dokumentiert und vielfältig analysiert worden. Betrach­ter könnten nun vermuten, dass dies alles Effekte sind, die zwar unfallartig auf ein Team hereinbrechen können. Dass im Normalfall, wenn alle Beteiligten guten Willens sind und über die möglichen Gefahren individueller Fehlorien­tierungen aufgeklärt sind, kreative Arbeit trotz aller Schwierigkeiten sicher zu „managen“ ist.

Das ist eine Fehleinschätzung. Denn die Problema­tik der „Kreativitäts-Inhibition“ wird durch Mechanismen der Gruppenarbeit verursacht, die beständig wirken und nicht, ohne gezielte und überlegte Vorkeh­rungen zu treffen, auszuschalten sind.

 

Polarität von Korrektheit und Kreativität

Die betreffenden Mechanismen können wir uns vergegenwärtigen, indem wir an die Ergebnisse einer modernen Interaktionstheorie anknüpfen, die sys­tematisch das Problemlösungsverhalten in Gruppen erfasst. Wir greifen zur SYMLOG-Theorie, die an der Harvard University federführend durch den Psychologen Robert F. Bales entwickelt wurde.(3)

Die SYMLOG-Theorie besitzt den Vorzug, empirisch-wissenschaftliche Analysen sowohl von Gruppenstrukturen als auch zu individuellen Interaktio­nen zu einer integrierten Feld- und Systemtheorie menschlicher Kommunika­tion zu verbinden. SYMLOG steht für „A SYstem for the Multiple Level Observation of Groups“ – „System für die Mehr-Ebenen-Beobachtung von Gruppen“. Die The­orie ist international anerkannt und gehört mit ihrer Forschungs-Methode zu den Standard-Erhebungs- und Auswertungs-Instrumenten psycholo­gischer Institute etwa an deutschen Universitäten.

Für unser Kreativitäts-Projekt ist diese Interaktionstheorie ein wichtiger Baustein, weil sie den von uns beobachtbaren Antagonismus zwischen Gruppen-Konservatismus und Kreativität als wesentliche Dimension menschlicher Kommu­nikation erfasst und analysiert hat. Aufgrund von Bales’ empirischer und theoretischer Arbeit können wir sagen, dass es in Gruppen und zwischen den darin interagierenden Individuen eine grundlegende Gegensätzlichkeit von Werten der Korrektheit auf der einen und der Bewertung von Kreativität auf der anderen Seite gibt.
Schauen wir uns das im Detail an:

Zur Betrachtung, Aufzeichnung und Ana­lyse des Problemlösungsverhaltens in Gruppen hat Robert F. Bales das so ge­nannte Feld-Diagramm entwickelt. Im Mittelpunkt dieses Diagramms steht eine quadratische Grafik, welche die Beziehungskonstellation einer Gruppe sowie die Positionen der beteiligten Mitglieder dokumentiert und damit aus­wertbar macht. Wie das folgende Beispiel-Felddiagramm (4) zeigt, visualisiert Bales’ Grafik Kommunikations-Konstellationen in Form eines Interaktions-Mappings oder anders gesagt als „Interaktions-Landkarte“.
Die Positionierung jedes Gruppen-Mitglieds ist als Kreis auf dem Dia­gramm dargestellt, welcher mit dem Code-Namen des betreffenden Teilneh­mers betitelt wird. Der Kreis mit seiner konkreten Lokalisierung im Diagramm wird als „Bild“ („image“) des Gruppenmitglieds bezeichnet. Die Details zur Größe des jeweiligen Bildes und zu dessen Lokalisierung in der Grafik basiert auf Bewertungen aller beteiligten Gruppenmitglieder.
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Bales entwickelte verschiedene, gestufte Fragebögen, mit denen die erfor­derlichen Bewertungsdaten erhoben werden. Wie diese Fragebögen im Ein­zelnen aussehen und eingesetzt werden, erörtern wir an dieser Stelle nicht, weil dies zu weit von unserer Fragestellung ablenken würde.(5) Was hierfür ausgesprochen relevant ist und uns stattdessen interessiert, sind die Einzelhei­ten der Dimensionierungen, die in den Felddiagrammen zum Tragen kommen

 

 

Drei Dimensionen menschlichen Interaktions­verhaltens

Schauen wir auf das Beispiel-Felddiagramm: Die Grafik enthält zwei sich in der Mitte des Feldes überkreuzende Skalen, die in unserer Darstellung als jeweils senkrechte und horizontale gestrichelte Linie erkennbar sind. Jeweils am Ende der Linien – also oben, unten, rechts und links – befinden sich die Dimensi­ons-Kennzeichnungen F (oben), B (unten), N (links) und P (rechts). In langjähri­gen Untersuchungen von Problemlösungsverhalten hatte Bales systematisch Daten gesammelt und diese mithilfe statistischer Berechnungen ausgewer­tet. Aufgrund einer Faktorenanalyse ergaben sich drei Grunddimensionen menschlichen Interaktionsverhaltens:

  • Engagements-Dimension:
    Dominanz versus Unterwürfigkeit – U (upward) und D (downward)
  • Emotions-Dimension:
    Freundlichkeit versus Unfreundlichkeit – P (positive) und N (negative)
  • Arbeitsorientierungs-Dimension:
    Normorientierung versus Nonkonformismus – F (forward) und B (back­ward)

Vereinfacht gesagt zeigte sich, dass sich Personen in einer Gruppensituation auf drei Ebenen individuell verhalten. Zum einen zeigen sie bestimmte Aus­prägungen von Engagement. Sie treten mehr oder weniger dominant (U – „upward“) auf oder sie sind mehr oder weniger zurückhaltend bzw. unterwürfig (D – „downward“).

Im Weiteren zeigen sie ihre Emotionalität entweder in mehr oder weniger freundlichem Sozial-Verhalten (P – „positive“) oder sie zeigen mehr oder we­niger unfreundliche Formen von abgrenzendem Individualismus (N – „Nega­tive“).

In der dritten Dimension können wir die Arbeitsorientierung von Individuen beobachten – sie offenbaren entweder mehr oder weniger starke Akzeptanz konservativer Werte und etablierter Autorität (F – „Forward“) oder sie zeigen mehr oder weniger starke Orientierungen an alternativen Wertvorstellungen und an Kreativität (B – „Backward“).

Obwohl das Felddiagramm als grafisches Artefakt auf eine zweidimensionale Illustrierung des Interaktionsraums eingeschränkt ist, gelang Bales für die Darstellung der drei Verhaltens-Dimensionen eine anschauliche Visualisie­rung:

In der Grafik werden zwei Dimensionen direkt dargestellt. Bales nutz­te die horizontale Ebene für die Wiedergabe der Dimension „Freundlichkeit versus Unfreundlichkeit“ – P versus N. Die senkrechte Blickrichtung nutz­te er für die Darstellung der Dimension „Akzeptanz versus Nichtakzep­tanz von Autorität“ bzw. „Konservatismus versus Kreativität“ – F versus B.

Für die ausstehende Dimension „Dominanz versus Unterwürfigkeit“ – U ver­sus D -, ließ sich Bales eine Illustrierung einfallen, die für den Betrachter intuitiv nachvollziehbar ist: Dominantes Verhalten wird durch einen großen Kreis dar­gestellt, weniger dominantes und unterwürfiges Verhalten wird durch kleine­re Kreisdurchmesser kenntlich gemacht.

Anhand dieser kurzen Erläuterungen kann der Leser grundlegend nach­vollziehen, wie Bales’ Beispiel-Felddiagramme funktionieren. Insbesondere kann er die gegenläufigen Orientierungs-Möglichkeiten von Individuen iden­tifizieren. Auf dieses Grundverständnis des SYMLOG-Ansatzes bauen wir auf, wenn wir nun auf ein weiteres Felddiagramm blicken. (6)

 

 

In diesem Diagramm sind die wichtigsten bipolaren Einstellungen, auf die Bales bei seinen Untersuchungen gestoßen ist, durch gegenläufige Pfeile an­gedeutet. Wir erkennen unter anderem die Gegenläufigkeit von Orientierun­gen des Selbstschutzes auf der einen Seite und kollektiven Orientierungen wie der Gleichberechtigung auf der gegenüberliegenden Seite, Orientierun­gen des Anti-Konformismus laufen in Gegenrichtung zu Orientierungen der Zusammenarbeit. Für unser Kreativitäts-Thema knüpfen wir an die Gegenläu­figkeit von Orientierungen der Korrektheit (oben) und der Orientierung an neuen alternativen Wertvorstellungen und der Kreativität (unten) an:

 

Korrektheits­-Orientierung

Bales konnte herausarbeiten, dass Orientierungen am Wert der Korrektheit in Form folgenden individuellen Verhaltens auftreten:

  • an der Gruppenaufgabe Mitarbeiten
  • ernsthaftes Bemühen um Problemlösung
  • Überzeugungen und Vermutungen in einer vernünftigen und beherrschten Weise Vorbringen
  • Problemstellungen Bewerten oder Diagnostizieren, indem Meinungen und Einstellungen analysiert werden

 

Als Botschaft formuliert, drückt Bales diese Orientierung aus als:

„Höre auf zu träumen und werde vernünftig!“

Für die Kreativitäts-Orientierung erwiesen sich wesentlich andere Verhaltens­weisen als charakteristisch:

  • Abruptes Ändern der Interaktionsstimmung
  • Zuerkennengeben, dass der Inhalt oder die Art und Weise dessen, was vor sich geht, als zu kontrolliert oder einengend empfunden wird
  • Zuerkennengeben, dass der Wunsch aufkommt, von der Arbeitsroutine zum freien Gedankenspiel überzugehen, vom Überlegen zum improvisierenden Agieren, von der Selbstbeherrschung zum Ausdrücken von Gefühlen

Hier heißt Bales’ charakterisierende Botschaft: „Lass Deinen Gedanken einfach freien Lauf!“

 

 

Wie weit sind diese antagonistischen Orientierungen in der Gruppen-Praxis und im Arbeitsalltag voneinander entfernt? Mit welchem Aufwand kann ein im Augenblick erfolgreich und korrekt arbeitendes Team dazu gebracht wer­den, auf das Erfinden von neuen Vorgehensweisen und alternativen, kreativen Wertvorstellungen „umzuschalten“?

Robert F. Bales hat zur Beantwortung dieser Fragestellung Forschungser­gebnisse speziell ausgewertet. Das Ergebnis dieser Auswertung erkennen wir in einem weiteren Balesschen Felddiagramm – wir schauen auf die so genann­te „Wert-Gebiets-Karte“:(7)

 

 

 

Dazu eine knappe Erläuterung: Nach jahrelangem Einsatz der Felddiagram­me und der Analyse von Hunderten Gruppenkonstellationen zeichnete sich ab, dass es in den Interaktions-Feldern typische „Orientierungsregionen“ gibt. Es zeigten sich Diagrammbereiche, in denen sich Daten von Individuen mit ähnlichen Orientierungen häufen, um „Effektive Teams“, „Konservative Teams“ aber auch „Radikale Oppositionen“ usw. zu bilden. Was sich in kon­kreten Interaktionssituationen dazu abspielte, war Folgendes: In wiederhol­ten Gesprächsrunden glichen sich einzelne Orientierungs-Richtungen von Individuen an. Die betreffenden Personen bildeten Untergruppen, aus denen heraus sie in der Folge gemeinschaftlich gegenüber anderen Untergruppen Konkurrenz-Positionen einnahmen. Die Wert-Gebiets-Karte (oben) stellt die typischen Polarisierungs-Felder dar, die sich dabei ergaben.

 

Wie werden Gruppen effektiv?

Auf der Basis dieser Wert-Gebiets-/Polarisierungs-Karte wertete Bales die Befragung von 1.000 Probanden seiner Untersuchungen aus. Die Befragungs­teilnehmer waren gefragt worden, welche Orientierung sie persönlich zum Erreichen von Arbeitseffektivität für wichtig halten:

„Im Allgemeinen, welche Art von Wertorientierungen sollten idealerweise ge­zeigt werden, um die höchste Effektivität zu erreichen?“

Anhand der Antworten auf diese Fragestellungen bekommen wir einen Eindruck davon, inwieweit Gruppenmitglieder Effektivität eher mit „kon­servativen“ Werten rund um Korrektheits-Orientierungen (F) oder eher mit “alternativen“ Werten, neuen Vorgehensweisen und Kreativitäts-Orientie­rungen (B) in Verbindung bringen.

Zur Auswertung wurden sämtliche Antworten in die Polarisierungs-Karte eingetragen, wobei sich viele Kreise ganz oder teilweise überlagerten. Bales’ Darstellung dieses Überlagerungsbildes ergab das „Feld-Streudiagramm“.(8)

 

 

Effektive Gruppen meiden neue Wege.

Schauen wir auf die Details dieses Streudiagramms: Was ist bemerkenswert an dem Muster, das sich hier zeigt? Das Zentrum des sich ergebenden em­pirischen Clusters ist nah am Zentrum der Orientierungs-Areale „Effektives Team“, „Liberales Team“ und „Konservatives Team“. Im Detail ergab Bales’ Auswertung, dass 90,3 Prozent der Bild-Lokalisierungen mit der Bewertung „am effektivsten“ in diesen Arealen des Felddiagramms positioniert sind.

Offenbar gibt es unter Individuen den Konsens, dass effektives Arbeiten in der Gruppe Orientierungen voraussetzt, die in Richtung „Etablierte Arbeitsweisen“, „Verantwortungsvolle Zusammenarbeit“ und „Gleichberechtigte Zusammenar­beit“ gehen – Grundrichtung ist also die F-Orientierung. Orientierungen in B- Richtung, also in Richtung „neue Vorgehensweisen“ und „Kreativität“ wurden bei Bales’ Untersuchung von 1.000 Fällen komplett ausgeschlossen.

Wie bedeutungsvoll sind Bales’ Ergebnisse? Er selbst schließt aus, dass die­ses signifikante Beieinanderliegen der Positionierungen aufgrund Mess- oder Rechenfehlern zustande gekommen sein konnte. Seiner Ansicht nach betrach­ten wir hier ein empirisches Faktum, das aufgrund eines großen Datenbe­stands abgesichert ist.

Unsere Schlussfolgerung daraus ist entsprechend:

Individuen, die in der Gruppenarbeit Effektivität anstreben, meiden mit großer Wahrscheinlichkeit alternative Wertorientierungen und neue Vorgehensweisen.

 

Als nächstes erforderlich: Ein Verfahren zum Ausschalten der zwanghaften Überdiszipliniertheit

In diesem Blog-Post haben wir anhand von Bales’ Visualisierung von Interaktionsprozessen gesehen, dass effektiv arbeitende Teams kreative neue Lösungsansätze systematisch verhindern.

Teams brauchen offenbar mehr als guten Willen, um sich aus ihren Routinen herauszulösen.

Im nächsten Blog-Post schauen wir uns deshalb nach einer Lösung für diese beinahe zwanghafte Überdiszipliniertheit um.

Hier geht es weiter.

 

 

 

Anmerkungen

(1) Vergleiche:

  • Isaksen, Scott G. ; „A Review of Brainstorming Research: Six Critical Issues for Inquiry“; Creativity Research Unit – Creative Problem Solving Group; University of Buffalo, New York; Monograph #302, 1998

 

(2) Vergleiche:

  1. Fehr, Ernst; Simon Gächter; „Altruistic Punishment in Humans“; in: Natur, Volume 415, 10. Januar 2002; S. 137-40
  2. Droste, Heinz W.; Kommunikation: Planung und Gestaltung öffentlicher Meinung; Band 2: Mechanismen; Neuss 2011; S. 475-80

 

(3) Bales wesentliche Veröffentlichungen zu seinem SYMLOG-Instrument sind:

  • Bales, Robert Freed; Stephen P. Cohen; SYMLOG. Ein System für die mehrstufige Beobachtung von Gruppen; Stuttgart 1982 (Originalausgabe: New York 1979)
  • Bales, Robert Freed; SYMLOG Case Study Kit – with Instructions for a Group Self Study; New York/London 1980
  • Bales, Robert Freed; Social Interaction Systems. Theory and Measurement; New Brunswick/London 2001

 

(4) Die Gestaltung der Grafik orientiert sich an Darstellungen aus Bales’
Veröf­fentlichungen, wie beispielsweise:

  • Bales, Robert Freed; Social Interaction Systems. Theory and Measurement; New Brunswick/London 2001; S. 6

 

(5) Eine detaillierte Darstellung zur „Funktionsweise“ des SYMLOG-Ansatzes findet sich hier:

  • Droste, Heinz W.; Kommunikation: Planung und Gestaltung öffentlicher Meinung; Band 2: Mechanismen; Neuss 2011; S. 347-93

 

(6) Die Gestaltung der Grafik orientiert sich an einer Darstellung aus:

  • Koenigs, Robert J.; Margaret Ann Cowen; „SYMLOG as Action Research“, in: Polley, Richard Brian; A. Paul Hare; Philip J. Stone; The SYMLOG Practitioner. Applications of Small Group Research; New York, Westport/Connecticut, London 1988; S. 61-87

 

(7) Die Gestaltung der Grafik orientiert sich an einer Darstellung aus:

  • Bales, Robert Freed; Social Interaction Systems. Theory and Measurement; New Brunswick/London 2001; S. 61

 

(8) Bales’ Untersuchungsergebnis und Konzept der grafischen Darstellung entnommen aus:

  •  Bales, Robert Freed; Social Interaction Systems. Theory and Measurement; New Brunswick/London 2001; S. 259-86